Kleine Ortsgemeinden, Korporationen, aber auch (kleine) politische Gemeinden sehen sich wachsendem Verwaltungsaufwand und immer komplexeren gesetzlichen Vorgaben gegenüber. Denn Pflichten gelten für alle gleichermassen: egal ob klein oder gross.
Diese Geschichte beginnt mit einem Leserbrief eines Präsidenten einer kleinen Ortsgemeinde im Sanktgallischen: Zweitausend Franken gibt diese jährlich für gute Zwecke aus. Mehr liegt nicht drin. Buchhaltung und Administration muss sie aber wie grosse Gemeinden führen. Anlässlich einer aufsichtsrechtlichen Prüfung wurde dieser Ortsgemeinde nahegelegt, sich in einen Verein umzuwandeln oder sich aufzulösen. Der Kern des Problems liegt nicht in der Aufsicht, sondern in Gesetzen, die das Umsetzen immer aufwändiger machen und alle über einen Kamm scheren. Jede zusätzliche Vorgabe für sich genommen mag sinnvoll erscheinen und nach wenig ausschauen: In der Summe wird die Last kräftezehrend.
An einem Treffen der regionalen Ortsgemeinden zwischen Mörschwil und Rheineck im September wurden Leserbrief und ausufernde Bürokratie eifrig diskutiert. Als Mitglied des kantonalen Vorstandes wurde ich um ein Statement gebeten. Meine Antwort begann an einem ganz anderen Punkt: «Auch 2’000 Franken sind viel wert».
Wir leben in einer Zeit, in der das komplexe Umfeld oft zu Überregulierung und übertriebener Formalisierung führt. Nicht weit ist dann der Reflex, jene Institutionen, die hier nicht mithalten können, einfach mal infrage zu stellen. Eine Ortsgemeinde, die jährlich 2’000 Franken für gute Zwecke ausgibt? Vernachlässigbar. Braucht es die noch? Und überhaupt: Sind die nicht aus der Zeit gefallen?
So können wir bald jeden Verein, die Kirchen und andere Institutionen totreden. Einige geben auch einfach auf. Dann haben wir am Ende eine rein funktionale Gesellschaft. Wir brauchen aber Vielfalt, die sich entfalten kann. Und wir brauchen mehr «Wir». Denn die heutige Zeit ist auch geprägt von Gemeinsinn, der uns abhandenkommt. Vereine, Kirchen und auch Ortsgemeinden tun ihre Arbeit dann gut, wenn sie Gemeinsinn und Engagement stärken. Das setzt voraus, dass man die Zeit hat, sich mehr mit Inhalten zu befassen.
Zurück zu unserer kleinen Ortsgemeinde im Sanktgallischen: Die 2’000 Franken sind mehr als nur eine kleine Zahl. Es geht auch um den Wert, den wir dieser Zahl und den Menschen dahinter geben. Wir in Rorschach investieren jährlich rund 70’000 Franken in soziale und kulturelle Initiativen – ein Betrag, der natürlich im Vergleich zu den grossen Ortsgemeinden und grossen Unternehmen nach wenig aussieht. Unsere Ressourcen sind begrenzt. Die Dankbarkeit der Initiantinnen und Initianten, die wir jeweils unterstützen, zeigt uns aber: Jeder Beitrag zählt.
Das Milizsystem – eine zentrale Säule, zu der wir Sorge tragen müssen
Die kleinen und mittleren Ortsgemeinden funktionieren Dank des Milizsystems, das in unserem Land eine zentrale Säule darstellt. Es ist gut, es ist günstig und gesellschaftlich wertvoll. Wir vom Ortsbürgerrat Rorschach sind beispielsweise alle berufstätig. Jede und jeder leistet jährlich über 500 Stunden für die Ortsgemeinde – in der Freizeit. Die meiste Arbeit entfällt auf Sitzungen, Administration und Buchhaltung.
Die steigenden gesetzlichen Anforderungen machen es immer schwieriger, ein Milizamt zu übernehmen, wenn man nicht vom Fach ist oder nicht langjährige Kolleginnen und Kollegen im Rat hat, die das Handwerk schon verstehen. Hier ist nicht das Gesetzt das Problem, sondern die fehlende ganzheitliche Denke, Systeme so zu gestalten, dass Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger nach wie vor Platz und Chance finden, sich einzubringen: mit vielleicht ganz anderen Qualitäten als Büroerfahrung oder Wissen um Gesetze und Bauen. Die Hauptaufgabe von Ortsbürgerräten ist eine strategische. Die Realität sieht vor allem bei kleinen und mittelgrossen Ortsgemeinden anders aus. Sie können sich keine Angestellten leisten. Die Administration machen sie selber. Nicht zuletzt auch, weil sie das knappe Geld lieber in Projekte sozialer oder kultureller Natur investieren.Wie können wir für mehr Zeit und Raum sorgen, um vor allem kreativ-strategisch an der eigenen Entwicklung zu arbeiten und nicht «nur» das Bestehende zu verwalten? Jammern ist die falsche Lösung. Energie sollte man dorthin lenken, wo wir handlungsfähig sind und Einfluss nehmen können. Denn verstecken müssen sich Ortsgemeinden mit ihrem vielfältigen Engagement nicht!
Das Gefühl haben, etwas Bedeutendes zu bewegenUnser erster Schritt in Rorschach war, an der Fassade zu arbeiten: Neues Logo, neue Webseite, mehr Social Media. Es entspricht nun mal dem Zeitgeist, dass die sichtbare Fassade darüber mitentscheidet, ob man mehr über eine Organisation erfahren möchte. Wichtig ist auch, über das Gute zu sprechen, das man tut. Aus zwei Gründen: Einerseits, um gesellschaftliches Engagement herauszustreichen und andererseits, um jenen eine Bühne zu geben, die wir unterstützen und die ihrerseits viel Freizeit in kulturelle oder soziale Projekte investieren.
Die neue Fassade steht: Positionierung, Webseite und Logo stimmen. Und wir sind auf den sozialen Medien mit unseren Möglichkeiten präsent.
Nun wird es Zeit, Organisation und Struktur fit für die Zukunft zu erhalten. Damit werden wir uns in der nächsten Legislatur befassen. Die Frage ist: Wie können wir uns aufstellen und weiterentwickeln, um attraktiv zu bleiben und engagierte Menschen für ein Amt zu gewinnen? Denn: Vereine, politische Parteien und andere Organisationen stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Engagierte Mitglieder zu finden wird immer schwieriger. Warum sollte es uns anders gehen? Deshalb ist es so wichtig, dass wir ein Umfeld schaffen, in dem sich Menschen wohlfühlen und ihre Ideen einbringen können. Eine klare Struktur und eine ansprechende Aussendarstellung sind gleichermassen entscheidend. Denn wer sich bei uns engagiert, soll das Gefühl haben: Ich kann Bedeutendes bewegen.Wie könnte eine Lösung ausschauen? Ich möchte über den Rand der eigenen Ortsbürgergemeinde hinausdenken. Für kleine und mittelgrosse Ortsgemeinden sehe ich eine Chance darin, vermehrt miteinander zu arbeiten. Um einander zu entlasten und um wieder Luft für die eigentliche «Raison d’être» zu bekommen.
In der Ortsbürgergemeinde Rorschach arbeiten wir mit dem Claim «Mehr Wir: Engagiert für Rorschach». Dieses «Mehr Wir» gilt für mich auch in der regionalen Zusammenarbeit. Denn jeder Beitrag zählt. Auch 2’000 Franken.
Claudio Vuono Präsident Ortsbürgergemeinde Rorschach und Vorstandsmitglied des Verbandes St. Galler Ortsgemeinden (VSGOG)